Der kleine Robin hat mir gesagt, ich müsse hier auch etwas über mich schreiben. Die Leute, denen er seine Geschichte erzählt, würden vielleicht etwas über den Schreiber wissen wollen, in dessen Kopf er lebe. Also tu ich's halt. 

JRobin steht als Autorenname auf dem Buchdeckel. In meinem Schweizer Pass steht ein anderer Name, aber das spielt keine Rolle.

Für diejenigen, die trotzem gerne sachliche Infos wünschen:

Jahrgang 1968, im Berner Oberland geboren, im Aargau zur Schule gegangen, KV, einige Jahre Sozialpraktika in Kinderheimen, danach Bürojobs, ein Rudel Siberian Huskys. Der Roman «I wish you were here» ist meine erste Publikation. Mehr zu meiner Biographie auf JRobin.ch

So hat alles angefangen. Ein kurzer Überblick über meine literarischen Anfänge


Weil mir das Reden  schwerfiel, habe ich stattdessen angefangen zu schreiben, während ich nebenbei Bibliotheken von Büchern verschlungen habe. Die Schulaufsätze waren immer um ein Mehrfaches länger  als sie üblicherweise sein sollten. Später habe ich Hörspiele gemacht, ein vertontes Gedicht anlässlich eines Schulprojektes wurde sogar im Schweizer Radio gesendet. Ich schrieb Zeitungsberichte von Schullagern und Dorffesten, schrieb meine eigene Version des Kleinen Prinzen und sogar die Analyse dazu, was dies mit mir selbst zu tun hatte. Reagiert darauf hat niemand. Ich bekam eine Stunde Logopädie pro Woche wegen Stottern, Bettnässen, Migräne, Kontaktschwierigkeiten. Das wars dann. Ich beobachtete Menschen in Zügen und schrieb eine erfundene Geschichte über sie. Gelesen hat sie niemand. Mit diesen Menschen zu reden, dazu hatte ich den Mut nicht. Ich bastelte aus meinen Nachtträumen  Geschichten zu Tagträumen, und verkündete zu Hause: «Ich werde Schriftsteller.» In den letzten zwei Schuljahren wurde jeder Schulaufsatz zu einer Fortsetzung des vorherigen, und zwischen den Schulaufsätzen schrieb ich noch einige Kapitel mehr. Es ging um zwei Jungen, zwei Freunde. Ich schrieb in der Ich-Form, aber ich schrieb nicht über mich. Der Ich-Junge war erfunden, der Freund dieses Jungen auch. Mein Deutschlehrer fand das originell, aber ich hätte die vorgegebenen Themen nicht so ganz getroffen. Die Eltern haben nichts davon gelesen, fanden es trotzdem weniger originell, wie überhaupt vieles, was ich machte. Sie meinten: «Hör auf mit den Fantastereien, werd endlich erwachsen und mach was Vernünftiges.» Schrifsteller, Journalist oder Pilot gehörten nicht in diese Kategorie.

Vernünftig wurde ich nicht, und erwachsen ... na ja, das kommt ganz auf den Blickwinkel an. Einem Blatt Papier hatte ich damals erzählt: «Ich bin achtzehn. Weisst du, in mir ist immer noch der Junge, der ich nie war. Natürlich war ich mal ein Junge, erst ein kleiner Junge, später ein etwas grösserer Junge, und jetzt ... jetzt weiss ich es nicht mehr so genau.»

 

Peter Maffays sang zu der Zeit das Lied der alten Nessaja in seinem Album "Tabaluga":

«Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt.

Von aussen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt.

Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben.

Doch dann, wenn ich's nicht mehr spüren kann, weiss ich es ist für mich zu spät.»

 

Nach hundert handgeschriebenen Seiten hatte ich angefangen, das Ganze auf Schreibmaschine abzutippen. Und da hat mir der Vater des Jungen einen Prolog diktiert. Darin schaut er zurück auf die Freundschaft seines Sohnes und bedauert, dass diese nur kurz dauerte, und dann ein Unfall passierte und der Freund seines Sohnes dabei starb.

Das war zuviel. Ich war überfordert damit, die Geschichte weiterzuschreiben um zu erfahren, was genau passiert war. Vielleicht, wenn ich nicht hinschauen würde, dann würde das nicht passieren. Ich hörte ich mit dem Schreiben auf. Das Manuskript und auch alle andere Schreibsachen verschwanden in einem Ordner und dieser Ordner in einer Schachtel und diese Schachtel auf den Dachboden.

40 Jahre später: ein literarisch ausgeschmücktes Resumé eines metaphysischen Erlebnisses

 

Eines Tages suchte ich auf dem Dachboden nach irgendwelchem Gerümpel. Da ich die Schachteln natürlich nicht angeschrieben hatte, öffnete ich eine nach der anderen. In einer der Kisten hockte ein Junge. Ich erschrak, und die Zeit blieb für einen Moment stehen. Ich kannte diesen Jungen, aber ich hatte ihn sehr, sehr lange nicht mehr gesehen. Er klopfte an meine (Herzens)Tür, bat um Einlass und sagte, er hätte da eine Geschichte zu erzählen und brauche eine Hand, die sie aufschreiben würde. Er hätte schon mal angefangen. Er streckte mir einen ganzen Ordner voller handgeschriebener Seiten vor die Nase und schaute mich mit seinen leuchtend blauen Augen bittend an.

 

Mist! Ich kannte diese Seiten. Ich selbst hatte sie geschrieben, vor vielen Jahren, ich war damals kaum älter als dieser von mir selbst ausgedachte Junge gewesen. Und nun hockte er in dieser Kiste drin. Wie kann das sein?Wie waren diese Seiten in seine Hände gelangt?  Was passiert hier gerade?

 

Wunder sind wie ein magisches Fenster aus der Realität heraus. Man kann das Fenster öffen, um das Wunder hereinzulassen. Oder man kann es auch wieder schliessen aus Angst, weil dieses Wunder dein Leben verändern könnte. Angst? Ja, die war auch da, aber die Neugier war stärker.

 

Ich streckte meine Hände aus: "Robin, mein Kleiner, was machst du hier?"

Der Junge sagte leise und mit Tränen in den Augen: «Mein Freund ist zurück, er ist nicht tot, wie du und ich geglaubt hatten. Er ist wieder da. Ich bin so glücklich. Deswegen bin ich gekommen, weil ich dir das unbedingt sagen musste, weil ich dachte, es würde dich auch glücklich machen.»

«Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein, warum? Hast du ihn gesehen? Habt ihr euch getroffen?»

Der Junge kletterte aus der Kiste und auf meinen Schoss und wischte meine Tränen ab: «Natürlich, habe ich ihn getroffen. Wir sind immer zusammen. Weisst du, ich hab so tolle Sachen mit Joey erlebt, du hast keine Ahnung, ich möchte es dir unbedingt erzählen. Schreibst du es für mich auf? Weisst du, ich lebe doch in deinem Kopf, auch wenn du mich vergessen hattest, aber ich bin immer noch da und liebe dich ... bitte ... kommt zurück zu mir ... bitte!»

Ich nickte. Wie hätte ich ablehnen können?


Und während er weiter schwärmte, erschien auf dem Spotify-Display meines Tablets Billy Raffoul und sein Song «I wish you were here». Ein realer Musiker mit einem realen Song in einem surrealen Moment.

«Erinnerst du dich?», fragte der Junge und lächelte durch seine Tränen hindurch. «Mein Freund Joey hat doch auch so lange, schwarze Haare, wie dieser Billy. Du hast in selbst so beschrieben, damals, als wir zusammen angefangen haben. Ich hab ihn so sehr vermisst, die Zeit, als er fort gewesen war.»

 

Natürlich erinnerte ich mich. Ich erinnerte mich, als wärs gestern gewesen. Ich hatte mit Schreiben aufgehört, weil ich über den Verlust des Freundes meines erdachten Jungen nicht hinweggekommen war. Nun sah ich ihn vor mir, in einem realen Videoclip und überlegte, ob dieser Billy Raffoul vielleicht tatsächlich Joey sein könnte, und ob dieser erdachte Junge realer sein könnte, als ich damals geglaubt hatte.

 

Der Junge begann zu erzählen und ich begann zu schreiben. Er sagte: «Weisst du, du wolltest doch nie erwachsen werden. Erinnerst du dich?»
«Ja, jetzt, wo du es sagst«, gab ich zur Antwort. «Aber ich hatte keine Wahl.»
«Stimmt, aber ich schon. Ich bleibe ein Junge, ich bleibe dein Junge.»
Die blauen Augen des kleinen Robin strahlten. Und dann entstand aus dem überlangen Schulaufsatz von damals in einem ungewöhnlich intensiven Flow die Geschichte von Robin und seinem Freund Brandon, dessen tragische Herkunft, sein Unfall und wie er diesen überlebt hat. Ich schloss Bekanntschaft mit Robins coolem Schulfreund Kevin, lernte seinen Dad und seine Grosseltern kennen und wie seine Mam gestorben ist. Der Kleine beschönigte nichts, breitete seine nackte Seele vor mir aus, ich weinte und lachte mit ihm. Ich bangte um ihn, als er mehrmals ein bisschen gestorben war. Ich erschrak, als er mir von seinem Suizidversuch erzählte, weil er glaubte, sein Freund sei tot und nicht glauben wollte, dass Kevin ihn umgebracht habe. Ich bangte mit ihm, was nun passieren würde, als ich den Grund für seine magische  Verbundenheit mit Brandon erfuhr und mit dieser Erkenntnis die ganze Familie auf den Kopf gestellt wurde.

 

Es ist die wunderbare Geschichte des kleinen Robin, welcher der alten Nessaya nicht geglaubt hat und ein Kind geblieben ist. Er ist das Kind in mir geblieben, aber es ist seine Geschichte, nicht meine, deshalb steht sein Name auf dem Buchdeckel. Er hat sie mir erzählt, ich habe sie nur aufgeschrieben. Weil er in meinem Herzen wohnt, kann er nicht selber schreiben. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn es meine Geschichte wäre. Wobei ... na ja, es gibt schon ein paar Situationen, die nicht unbedingt sein müssten. Zum Beispiel als er von seinem Freund getrennt wurde, oder wie er mit seinem Freund durch die Hölle des Missbrauchs kroch, oder als er die Wahrheit über seinen Vater erfuhr ... ehrlich, ich weiss nicht, was ich gemacht hätte ... Aber lest selbst.

Nur, um Missverständnisse zu vermeiden: Billy Raffoul und sein Song «I wish you were here» waren nur der Auslöser für die Wiederbelebung des alten Manuskrips. Ansonsten hat der Musiker mit der Geschichte gar nichts zu tun. Die verblüffende äusserliche Ähnlichkeit des jungen Billy mit dem ausgedachten Brandon in der Geschichte ist zufällig. Allfällige Parallelen in Charakter und Familiengeschichte des Protagonisten Brandon mit Billy Raffoul sind, wenn überhaupt vorhanden, rein zufällig.

 

Eher kein «Zufall» war es, dass Billy Raffoul in exakt derselben Woche, in der ich ihn auf Spotify entdeckte, in München ein Konzert gab. Natürlich bin ich hingefahren und hatte die Gelegenheit, ihm von meiner Story zu erzählen. Er hat sich darüber sehr gefreut und sein Einverständnis für die Verwendung seines Fotos als Jugendlicher sowie die Verwendung des Songtextes erteilt.