So hat alles angefangen. Ein kurzer Überblick über meine literarischen Anfänge
Weil mir das Reden in der Schule schwerfiel, habe ich stattdessen angefangen zu schreiben, während ich nebenbei Bibliotheken von Büchern verschlungen habe. Die Schulaufsätze waren immer um ein Mehrfaches länger als sie üblicherweise sein sollten. Später habe ich Hörspiele gemacht und ein vertontes Gedicht anlässlich eines Schulprojektes wurde sogar im Schweizer Radio gesendet. Ich schrieb Zeitungsberichte von Schullagern und Dorffesten, schrieb meine eigene Version des Kleinen Prinzen und sogar die Analyse dazu, was dies mit mir selbst zu tun hatte. Wenn ich das heute lese, läuten die Alarmglocken. Damals hiess es nur: "Wann wirst du endlich normal?" Ich beobachtete Menschen in Zügen und schrieb eine erfundene Geschichte über sie. Gelesen hat sie niemand. Mit diesen Menschen zu reden, dazu hatte ich den Mut nicht. Ich bastelte aus meinen Nachtträumen Geschichten zu Tagträumen, und verkündete zu Hause: "Ich werde Schriftsteller." In den letzten zwei Schuljahren wurde jeder Schulaufsatz zur Fortsetzung des vorherigen. Es ging um zwei Jungen, zwei Freunde. Ich schrieb in der Ich-Form, aber ich schrieb nicht über mich. Der Ich-Junge war erfunden, der Freund dieses Jungen auch. Mein Deutschlehrer fand das originell, aber ich hätte die vorgegebenen Thema nicht so ganz getroffen. Die Eltern haben nichts davon gelesen, fanden es trotzdem weniger originell, wie überhaupt vieles, was ich machte. Sie meinten: "Hör auf mit den Fantastereien, werd endlich erwachsen und mach was Vernünftiges." Schrifsteller, Journalist oder Pilot gehörten nicht in diese Kategorie.
Vernünftig wurde ich nicht, und erwachsen ... na ja, das kommt ganz auf den Blickwinkel an. Peter Maffays "Tabaluga" und das Lied der alten Nessaja wurde lange Zeit eine Art Leitbild: «Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von aussen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt. Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben. Doch dann, wenn ich's nicht mehr spüren kann, weiss ich es ist für mich zu spät.»
Als der Freund des Ich-Jungen in meinem Fortsetzungs-Schulaufsatz starb, hörte ich mit dem Schreiben auf. Das Manuskript und auch alle andere Schreibsachen verschwanden in einem Ordner.
40 Jahre später: ein literarisch nur wenig ausgeschmücktes Resumé eines metaphysischen Erlebnisses
Eines Tages suchte ich auf dem Dachboden nach irgendwelchem Gerümpel. Da ich die Schachteln natürlich nicht angeschrieben hatte, öffnete ich eine nach der anderen. In einer der Kisten hockte ein Junge. Ich erschrak, und die Zeit blieb für einen Moment stehen. Ich kannte diesen Jungen, aber ich hatte ihn sehr, sehr lange nicht mehr gesehen. Er klopfte an meine (Herzens)Tür, bat um Einlass und sagte, er hätte da eine Geschichte zu erzählen und brauche eine Hand, die sie aufschreiben würde. Er hätte schon mal angefangen. Er streckte mir einen ganzen Ordner voller handgeschriebener Seiten vor die Nase und schaute mich mit seinen leuchtend blauen Augen bittend an.
Mist! Ich kannte diese Seiten. Ich selbst hatte sie geschrieben, vor vielen Jahren, ich war damals kaum älter als dieser von mir selbst ausgedachte Junge gewesen. Wie waren diese Seiten in seine Hände gelangt? "Robin, mein Kleiner, was machst du hier?"
Der Junge sagte leise und mit Tränen in den Augen: «Mein Freund ist zurück, er ist nicht tot, wie wir geglaubt hatten, du und ich. Er ist wieder da. Ich bin so glücklich. Deswegen bin ich gekommen, weil ich dir das unbedingt sagen musste, weil ich dachte, es würde dich auch glücklich mahen.»
Und wärend er so schwärmte, erschien auf dem Spotify-Display meines Tablets Billy Raffoul und sein Song «I wish you were here». Ein realer Musiker mit einem realen Song in einem surrealen Moment.
«Erinnerst du dich?», fragte der Junge und lächelte. «Mein Freund Joey hat doch auch so lange, schwarze Haare, wie dieser Billy. Und ich hab mir immer so sehr gewünscht, dass er wieder hier wäre. Ich hab ihn so sehr vermisst.»
Natürlich erinnerte ich mich. Ich erinnerte mich, als wärs gestern gewesen. Ich hatte mit Schreiben aufgehört, weil ich über den Verlust des Freundes meines erdachten Jungen nicht hinweggekommen war. Nun sah ich ihn vor mir, in einem realen Videoclip und überlegte, ob dieser Billy Raffoul vielleicht tatsächlich Joey sein könnte.
Der Junge kletterte aus der Kiste und auf meinen Schoss und wischte meine Tränen ab: «Weisst du, ich hab so tolle Sachen mit Joey erlebt, du hast keine Ahnung, ich möchte es dir unbedingt erzählen. Schreibst du es für mich auf? ... Bitte! "
Ich nickte. Wie hätte ich ablehnen können?
Der Junge begann zu erzählen und ich begann zu schreiben. Aus dem überlangen Schulaufsatz von damals entstand in einem ungewöhnlich intensiven Flow die Geschichte von Robin und seinem Freund Brandon, dessen tragische Herkunft, sein Unfall und wie er diesen überlebt hat. Ich erfuhr von Robins Schulfreund Kevin, lernte seinen Dad und seine Grosseltern kennen und wie seine Mam gestorben ist. Der Kleine beschönigte nichts, breitete seine nackte Seele vor mir aus, ich weinte und lachte mit ihm. Ich erschrak, als er mir von seinem Suizidversuch erzählte, weil er glaubte, sein Freund sei tot. Ich bangte mit ihm, was nun passieren würde, als ich den Grund für ihre Verbundenheit erfuhr und mit dieser Erkenntnis die ganze Familie auf den Kopf gestellt wurde.
Es ist die wunderbare Geschichte des kleinen Robin, welcher der alten Nessaya nicht geglaubt hat und ein Kind geblieben ist.
Es ist seine Geschichte, nicht meine, deshalb steht sein Name auf dem Buchdeckel. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn es meine Geschichte wäre.
Nur, um Missverständnisse zu vermeiden: Billy Raffoul und sein Song «I wish you were here» waren nur der Auslöser für die Wiederbelebung des alten Manuskrips. Ansonsten hat der Musiker mit der Geschichte gar nichts zu tun. Die verblüffende äusserliche Ähnlichkeit des jungen Billy mit dem ausgedachten Brandon in der Geschichte ist zufällig. Allfällige Parallelen in Charakter und Familiengeschichte des Protagonisten Brandon mit Billy Raffoul sind, wenn überhaupt vorhanden, rein zufällig.
Eher kein «Zufall» war es, dass Billy Raffoul in exakt derselben Woche, in der ich ihn auf Spotify entdeckte, in München ein Konzert gab. Natürlich bin ich hingefahren und hatte die Gelegenheit, ihm von meiner Story zu erzählen. Er hat sich darüber sehr gefreut und sein Einverständnis für die Verwendung seines Fotos als Jugendlicher sowie die Verwendung des Songtextes erteilt.